Thementag zum Bundesteilhabegesetz: „Bleiben Sie am Menschen. Das eint uns als Gesellschaft“

Veröffentlicht am 13.05.2024 in Bundespolitik

Die SPD-Bundestagsabgeordneten Christoph Schmid und Takis Mehmet Ali widmeten sich an ihrem Thementag am 06.05.2024 dem Bundesteilhabegesetz. Dafür tourten sie durch den Wahl- und Betreuungskreis zu verschiedenen Einrichtungen für Menschen mit Einschränkungen. Auf der Route lagen der Regens-Wagner-Hof in Dillingen, das Dominikus-Ringeisen-Werk und die Fachschule für Heilerziehungspflege in Ursberg sowie eine öffentliche Podiumsdiskussion in Mindelheim.

 

Takis Mehmet Ali ist Beauftragter der SPD-Bundestagsfraktion für die Belange der Menschen mit Behinderungen und damit erster Ansprechpartner für Betroffene, Angehörige und Beschäftigte in Wohnheimen und Werkstätten. Christoph Schmid freute sich, ihn als Fachpolitiker für die Termine gewonnen zu haben: „Durch sein vehementes Eintreten für die Belange der Menschen mit Behinderungen innerhalb der Fraktion weiß ich, dass ich einen kompetenten Fachpolitiker an meiner Seite habe. Solche Kontakte sind wertvoll, denn gerade in diesem Sektor sind Menschen auf unsere Fürsprache angewiesen, weil sie sich oftmals kaum selbst Gehör verschaffen können“, gab Christoph Schmid zu bedenken.

 

 

Die Tour durch das westliche Schwaben startet auf dem Regens-Wagner-Hof in Dillingen. Hier können 21 Bewohner:innen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen zusammenleben und im landwirtschaftlichen Betrieb mitarbeiten. „Die Aufgaben im Umgang mit Tieren sind für unsere Bewohner:innen absolut sinnstiftend. Tierpflege bedeutet nicht nur tagtägliche Erfolgserlebnisse, sondern gerade auch körperliche Betätigung, die den Menschen guttut. Und natürlich passiert auch viel auf der emotionalen Ebene –Pferde und Ziegen wollen schließlich zwischendurch auch gekuschelt werden“, erklärte der Regens-Wagner Gesamtleiter der Stefan Leser. Die Hofleitung Claudia Pastors stellte beim Rundgang über den Hof immer wieder klar, dass die Klienten von dem weitläufigen Gelände abseits des urbanen Trubels profitieren: „Hier sind schon manche Wunder passiert: Im Umgang mit Tieren können Fähigkeiten und Potentiale geweckt werden, die sonst nicht zutage getreten wären. Unser Hof ist ein Erfolgsmodell!“ Im Anschluss an den Rundgang standen die drängendsten Fragen der Sozialpolitik im Mittelpunkt der Diskussion: Ist ein soziales Pflichtjahr die richtige Antwort auf den Arbeitskräftemangel? Wie können Anreize geschaffen werden, um Arbeit im sozialen Bereich attraktiv zu machen? „Die Debatte über ein soziales Pflichtjahr wird heiß geführt werden“, ist sich Christoph Schmid sicher und ergänzte: „Es dürfen dabei die realen Fragen nach einer tragfähigen Struktur und Ausstattung für ein Pflichtjahr im sozialen oder militärischen Bereich nicht vernachlässigt werden.“

 

Als zweiter Anlaufpunkt stand der Besuch der Dominikus-Ringeisenwerke in Ursberg an. Hier nahm Ressortleiter für Teilhabe und Assistenz, Wolfgang Tyrychter, und stellv. Vorstandsvorsitzender Michael Winter die Abgeordneten in Empfang. Beim gemeinsamen Mittagessen wurde erörtert, wie die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) in Bayern vorangetrieben werden könne. „Die Verabschiedung des BTHG während der großen Koalition war eines der größten sozialpolitischen Projekte. Betroffene können nun Leistungen einklagen und sind nicht mehr als Bittsteller vom Einrichtungsträger oder Ausstattung der kommunalen Finanzen abhängig. Schade, dass in der Umsetzung des BTHG nicht alle Bundesländer das gleiche Tempo an den Tag legen“, bedauerte Mehmet Ali.

 

In Ursberg werden verschiedene Wohn- und Arbeitsformen angeboten. Neben Wohngruppen werden derzeit auch alleinstehende Tiny-Houses errichtet. Jährlich kämen hier durchschnittlich 5 Häuser hinzu, solange noch bebaubare Grundstücke vorhanden seien, erklärt Wolfgang Tyrychter und führte aus: „Hier wird der Traum vom Eigenheim auch für unsere Klienten ermöglicht – sofern sie mit ambulanter, stundenweiser Unterstützung zurechtkommen.“

 

Gleichzeitig steht bei den Gesprächen aber auch immer wieder die Frage im Raum, wo Inklusion an ihre Grenzen stoße. Ursula Stiehle, Einrichtungsleitung der Förderstätte Ursberg betonte aber in diesem Zusammenhang: „Jeder Mensch hat seinen Platz in der Gesellschaft. Ein würdevolles Leben und die Berücksichtigung der individuellen Belange jedes einzelnen Menschen - das versuchen wir hier im Dominikus Ringeisen Werk mit unterschiedlichen Wohn-, Arbeits- und Fördermodellen zu ermöglichen. Die Schwere einer Behinderung darf niemals ein Grund sein, individuelle Förderprogramme nicht zumindest auszuprobieren – dieser Ansatz ist eine echte Weiterentwicklung im Umgang mit Menschen mit Einschränkungen.“ Wolfgang Tyrychter meint dazu: „Teilhabe und Inklusion sehen individuell sehr verschieden aus und müssen daher am einzelnen Menschen und seinem Bedarf ansetzen, nicht an allgemeinen Richtlinien oder Vorstellungen.“

 

Da auch hier der Arbeitskräftemangel eine große Herausforderung darstellt, lohnte sich der Besuch der Fachschule für Heilerziehungspflege und Heilerziehungspflegehilfe in Ursberg mit ihrer Zweigstelle in Krumbach. Im Gespräch mit der Schulleitung Andrea Burkhard und der Leitung der Förderschule Verena Nittmann kam zum Ausdruck, dass die Heilerziehungspflege neben der Alten- und Krankenpflege oft ins Hintertreffen gerät, wenn es um die Aufmerksamkeit in der öffentlichen und politischen Debatte geht. „Ich habe mich mit der Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung und Abgeordnetenkollegin Claudia Moll darauf verständigt, dass wir auf Bundesebene stärker auf eine koordinative Rolle des Bundes hinwirken, wenn es darum geht, die HEP-Ausbildung zu stärken,“ versprach der Abgeordnete Takis Mehmet Ali. Christoph Schmid stellte in Aussicht, dass er als Abgeordneter auch Ausbildungsklassen besuchen könne, um die Anliegen der Berufsanwärter persönlich entgegenzunehmen und in den direkten Austausch mit den zukünftigen Beschäftigten zu kommen. Verena Nittmann und Andrea Burkhard dankten für den Besuch aus dem Bundestag und zeigten sich erfreut, dass ihre Anliegen von der Politik aufgegriffen und ihre Arbeit wertgeschätzt werden.

 

Um nach den zahlreichen Fachgesprächen auch für eine größeres Publikum für das Thema der Teilhabe und Inklusion ansprechbar zu sein, veranstalteten die Bundestagsabgeordneten abends eine Podiumsdiskussion in Mindelheim. Volkmar Thumser, Behindertenbeauftragter des Bezirks Schwaben, bereicherte das Podium mit seiner Expertise auf Bezirksebene. Die Veranstaltung wurde auch von Gebärdensprachendolmetscherinnen begleitet, um Teilhabe zu ermöglichen. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob das BTHG als Meilenstein auf dem Weg zur Inklusion betrachtet werden könne.

 

In seinen einführenden Worten wies Christoph Schmid darauf hin, dass sich das Bundesland Bayern bereits für 2023 das Ziel gesteckt hätte „barrierefrei“ zu werden. Selbst ein Jahr später sei man von diesem Ziel noch weit entfernt. Auch wenn das BTHG die richtigen Ansätze enthielte, sei man bei der Umsetzung auf die föderalen Strukturen und länderspezifische Regulatorien zurückgeworfen. „In Bayern haben wir das Phänomen, dass Bundesmittel im Rahmen des BTHG zwar abgerufen werden, aber nicht zielorientiert bei den Betroffenen ankämen. Hier muss im Zuge des anstehenden Evaluationsprozess noch erheblich nachgesteuert werden,“ sagte Schmid.

 

Der Impulsvortrag des Abgeordneten Takis Mehmet Ali schlug in die gleiche Kerbe, wobei er die weitreichendste Reformstufe von 2020 besonders hervorhob. Seit deren Inkrafttreten 2020 sind Leistungen für Betroffene einklagbar und nicht mehr im Sinne der Sozialhilfe vom Ermessen der Leistungsträger abhängig. „Dieser Mentalitätswandel fordert uns alle: Die Einrichtungen, die Verwaltung und die Gesellschaft. Aber nur so schaffen wir es, dass Menschen mit Beeinträchtigung nicht mehr als Bittsteller, sondern als wertvoller Teil der Gesellschaft auftreten und wahrgenommen werden“, bekräftigte Mehmet Ali.

Volkmar Thumser antwortete in seinem Statement aus Sicht des Bezirks, dessen Hauptaufgabe die sozialen Ausgaben seien – neben der Pflege eben gerade auch die Eingliederungshilfe. Er stellte dar, dass gerade die Individualisierung der Leistungsansprüche durch das BTHG zu zusätzlichem Verwaltungsaufwand führe. In vielen Bereichen wie in der Frühförderung und im Kindergarten habe sich in den letzten Jahren vieles zum Positiven verändert. Er erinnerte daran: „Wichtiger als Gesetzestexte ist doch, dass ganz natürlich Menschen mit und ohne Behinderung zusammenkommen und ein Stück ihres Alltags miteinander teilen.“

 

In der Debatte mit Vertreter:innen von Werkstätten, Betroffenenvereinen und Beschäftigten wurden weitere Themen angesprochen: Die Entlastung der Betroffenen, der Angehörigen und der Beschäftigen durch den Bürokratieabbau sei unerlässlich. Christoph Schmid erklärte dazu: „Die Bürokratie folgt einem gewissen Zeitgeist. Wir bauen sie mit unserem Wunsch nach vollständiger Absicherung selbst mit auf. In sensiblen Bereichen bleibe ich aber dabei: eine gewissen Dokumentationspflicht zum Schutz der Betroffenen ist im medizinischen und pflegerischen Bereich einzufordern.“ Takis Mehmet Ali fügte an: „Unterstützen Sie uns Politiker darin, Bürokratie abzubauen. Die Diskussion um Bürokratieabbau wird nicht ganzheitlich geführt. Dabei sollten wir auch darüber reden, inwiefern jede einzelne Förderung, jeder einzelne Antrag im Sozialrecht und auch jeder einzelne Schritt in der Sozialverwaltung dokumentiert und geprüft werden muss".

 

In der Diskussion um die Rolle der Werkstätten kamen verschiedene Stimmen zu Wort. Einerseits wurde aus dem Publikum eine bessere Entlohnung gefordert. Andererseits drang der Leiter der Unterallgäuer Werkstätte gGmbH Ludger Escher darauf, Werkstätten als wertvollen Teil der Inklusion zu betrachten: „Ich warne vor der Diskussion um die Abschaffung der Werkstätten. Ein gemeinsames Miteinander zwischen den verschiedenen Betrieben und Institutionen ist unablässig für gute Teilhabe und Inklusion! Werkstätten bieten Perspektiven und Teilhabe an einem normalisierten Arbeitsleben, auch für Menschen mit hohen Beeinträchtigungen!“ Hierauf konnte Christoph Schmid entgegnen, dass die Debatte um ein Ende der Werkstätten sicherlich nicht aus der SPD-Bundestagsfraktion herausgeführt werden würden. Gerade der Thementag und die vielen Stationen der beiden Abgeordneten zeigten doch den Respekt und die Anerkennung, die man den Einrichtungen entgegenbringe. Abschließend rief er die Beschäftigten, Betroffenen und Angehörigen, sowie die gesamte Bevölkerung dazu auf: „Bleiben Sie am Menschen. Das eint uns als Gesellschaft.“

 

 

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